Die neue Kapelle

Im Jahr 2011 wurde die Friedhofskapelle einer grundlegenden Revision unterzogen. Der Kirchenvorstand der
Emmaus-Kirchengemeinde beauftragte
dazu ein Hamburger Architektenbüro. Es entstand ein Entwurf, der nicht in die Dimensionierung der bestehenden Räume eingriff,
wohl aber durch Neugestaltung von Oberflächen und Ausstattung zu einer erheblichen Veränderung und Weiterentwicklung des bestehenden Raumkonzeptes,
das seinerzeit vom Architekten Walter Ellerbrock entworfen worden war, führte.
Die Weißung der Wände soll helfen, den Gang durch die Schwere dunkler Trauer leichter zu machen und zugleich der Bronzeplastik Fritz Flehrs,
die die biblische Szene von der Auferweckung des Jünglings zu Nains darstellt, zu neuer Geltung verhelfen. Diese Plastik ist ein Kleinod.
Sie fängt die Dynamik des Auferweckungsgeschehens auf so gelungene Weise ein, dass man als Betrachter sich unwillkürlich in die Bewegung der
Figuren einbezogen wähnt.
Der Urnenabschiedsraum soll durch seine Lichtführung vom Gedanken der Auferstehung geprägt sein. Der Diffusor im Oberlicht lenkt das Auge
in eine Dimension, in der alles Gegenständliche so verhüllt wird und das Tageslicht die Abschiedssituation als eine vom göttlichen Licht
erhellte interpretiert. Die vom Architekten Schmidt entworfenen Kreuze aus Schwarzstahl im Urnenabschieds- und Angehörigenraum gehören in
diese Lichtsituation hinein. Wir können nicht über Auferstehung sprechen und die Unausweichlichkeit menschlichen Leidens, das durch das
Kreuz symbolisiert wird vergessen.
Die gleiche Lichtführung prägt auch Sakristei und Angehörigenraum. Licht und Kreuze erinnern so gemeinsam an eine geistliche Dimension des Lebens,
die der Trauer zu ihrem Sinn verhilft.
Der Eingangsbereich mit der dunkelgrünen Stirnwand will Menschen in aufgewühlter und abschiedlicher Stimmung trösten. Das Durchschreiten des
Eingangs in die lichterfüllte Kapelle hinein soll als Stärkung erlebbar werden. Die Wertigkeit der Sitzmöbel drückt Wertschätzung und Respekt
für die Situation Trauernder aus.
Die Emmaus-Kirchengemeinde ist mit der neuen Friedhofskapelle dankbar und glücklich einen Abschiedsraum zu haben, der auf zeitgemäße Weise dem
Lebensgefühl Trauernder und dem Trost aus der Botschaft des Evangeliums Ausdruck verleiht.
Die Auferweckung des Jünglings zu Nain

Danach machte er sich auf den Weg in eine Stadt mit Namen Nain.
Mit ihm wanderten seine Jünger und ein großer Haufe Leute. Als er das
Stadttor beinahe erreicht hatte -siehe, da trug man einen Toten heraus. Er
war der einzige Sohn seiner Mutter, und sie war eine Witwe. Viele Leute aus
der Stadt begleiteten sie. Als der Herr sie sah, drehte sich ihm das Herz im
Leibe um, und er sprach zu ihr: "Weine nicht."; Er trat hinzu und berührte
die Bahre. Da blieben die Träger stehen. Er sprach: "Jüngling, ich sage dir:
stehe auf!" Da erhob sich der Tote und fing an zu reden. Und er übergab ihn
seiner Mutter. Furcht packte da alle, und sie rühmten Gott und sprachen:
"Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden" und "Gott hat sein Volk
aufgesucht!" Diese Rede erscholl in ganz Judäa und Umgebung.
(Luk. 7,11-I7)
Das Tor
Ein Tor schließt ein Gebäude ab. Es begrenzt einen Raum, es schützt ein Haus vor
dem Zugriff. Aber wenn ein Tor sich öffnet, lädt es zum Eintreten ein. Wer durch
das Tor geht, gelangt in einen neuen Bereich. So steht das Tor an der Grenze
zwischen drinnen und draußen. Es kann abwehren und einladen. Wie wir immerzu
Grenzen überschreiten und von einem Bereich in den anderen übergehen, so
durchschreiten wir immerzu Tore. Schon unsere Geburt war ein solcher
Tor-Durchgang. Und unser Weg führt uns immer wieder vor geschlossene und sich
öffnende Tore. Weil der Tod ein letztes und entscheidendes Tor darstellt,
deshalb ist es nicht verwunderlich, daß auch das Gebäude, in dem der Leichnam
vor der Grablegung noch einmal den Menschen dargeboten wird, ein Tor hat.

Das Tor der Friedhofskapelle erinnert uns daran, daß die Toten durch ein Tor in
einen anderen Bereich gegangen sind. Fritz Fleer hat eine biblische Szene als
Thema gewählt, um diesen Durchgang in einen Sinnzusammenhang zu stellen. Die
beiden Flügel des Tores stellen jeweils eine wandernde Menschengruppe dar. Zwei
Gruppen bewegen sich aufeinander zu, um sich zu begegnen. In der rechten Gruppe
finden wir die Trauernden, die unruhig Fragenden, die Ungetrösteten. Auf der
linken Seite kommt die Gruppe der Apostel mit Jesus. Jesus ist vom Kreis seiner
Jünger abgesetzt, aber er unterscheidet sich nicht allzu sehr von den anderen.
Kein Nimbus und keine Aureole zeichnen ihn aus, er ist nur durch die Geste des
Lehrenden von den übrigen abgehoben. Während die Gefährten als die
vertrauensvollen Freunde erscheinen offen und hörbereit, von dem machtvollen
Zeichen betroffen, sehen wir Jesus als den Kundigen, der die Zusammenhänge
erkennen und klären kann, der Macht hat, dem Schicksal entgegenzutreten, Er will
ein Zeichen setzen, das Hoffnung weckt und eine Zukunft eröffnet.
In dem ganzen Relief herrscht Ruhe vor. Einige der Gestalten treten nur schwach
heraus, andere sind stark plastisch gestaltet. Die meisten Figuren betonen in
ihrer Gestalt und in dem Linienwerk ihrer Kleidung die Vertikale. Bewegung kommt
durch den jungen Mann auf der Bahre und die hingekauerte Mutter in das Bild. Der
Jüngling war schon in die Waagerechte des Todes gebracht, sein Weg war zu Ende,
sein Leben abgebrochen, aber Jesus ruft ihn wieder in die Vertikale. Er richtet
sich auf, er darf Mutter, gebeugt von dem Schmerz der Not und Ausweglosigkeit,
darf aus der Niedergebeugtheit wieder in die mutige Offenheit der
Zukunftserwartung zurück. Gott hat den Menschen als das Wesen gewollt, das
wieder anfangen darf. Wohl muß er Abschied nehmen und hergeben, aber jeder
Abschluß endet wieder mit einem Beginn. Wer glaubt, hat Hoffnung. Wer glaubt
sieht einen Sinn auch noch im Zuendegehen eines Geschehens. Ein Tor schließt
sich, ein anderes öffnet sich. Es steht immer noch etwas aus, es wird immer
wieder eine Richtung sichtbar, in die man gehen kann. Es kündigt sich immer
wieder etwas an. Wir leben in einer unabgeschlossenen Welt, wir leben ein
unabschließbares Leben. Eine Friedhofskapelle ist kein fröhlicher Ort. Wir
kommen dort nicht zusammen, um zu lachen und unbeschwert zusammen zu sein. Aber
wir sollen dort auch nicht beschwert und mutlos beieinander sein, sondern sollen
die Hoffnung wieder lernen. Einer kommt und sagt uns: Steh auf, du sollst nicht
liegenbleiben, du hast noch einen weiten Weg vor dir!