Die Auferweckung des Jünglings zu Nain

Relief am Tor der Kapelle Danach machte er sich auf den Weg in eine Stadt mit Namen Nain. Mit ihm wanderten seine Jünger und ein großer Haufe Leute. Als er das Stadttor beinahe erreicht hatte -siehe, da trug man einen Toten heraus. Er war der einzige Sohn seiner Mutter, und sie war eine Witwe. Viele Leute aus der Stadt begleiteten sie. Als der Herr sie sah, drehte sich ihm das Herz im Leibe um, und er sprach zu ihr: "Weine nicht."; Er trat hinzu und berührte die Bahre. Da blieben die Träger stehen. Er sprach: "Jüngling, ich sage dir: stehe auf!" Da erhob sich der Tote und fing an zu reden. Und er übergab ihn seiner Mutter. Furcht packte da alle, und sie rühmten Gott und sprachen: "Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden" und "Gott hat sein Volk aufgesucht!" Diese Rede erscholl in ganz Judäa und Umgebung.
(Luk. 7,11-I7)

Das Tor

Ein Tor schließt ein Gebäude ab. Es begrenzt einen Raum, es schützt ein Haus vor dem Zugriff. Aber wenn ein Tor sich öffnet, lädt es zum Eintreten ein. Wer durch das Tor geht, gelangt in einen neuen Bereich. So steht das Tor an der Grenze zwischen drinnen und draußen. Es kann abwehren und einladen. Wie wir immerzu Grenzen überschreiten und von einem Bereich in den anderen übergehen, so durchschreiten wir immerzu Tore. Schon unsere Geburt war ein solcher Tor-Durchgang. Und unser Weg führt uns immer wieder vor geschlossene und sich öffnende Tore. Weil der Tod ein letztes und entscheidendes Tor darstellt, deshalb ist es nicht verwunderlich, daß auch das Gebäude, in dem der Leichnam vor der Grablegung noch einmal den Menschen dargeboten wird, ein Tor hat.

Tor der Friedhoskapelle Das Tor der Friedhofskapelle erinnert uns daran, daß die Toten durch ein Tor in einen anderen Bereich gegangen sind. Fritz Fleer hat eine biblische Szene als Thema gewählt, um diesen Durchgang in einen Sinnzusammenhang zu stellen. Die beiden Flügel des Tores stellen jeweils eine wandernde Menschengruppe dar. Zwei Gruppen bewegen sich aufeinander zu, um sich zu begegnen. In der rechten Gruppe finden wir die Trauernden, die unruhig Fragenden, die Ungetrösteten. Auf der linken Seite kommt die Gruppe der Apostel mit Jesus. Jesus ist vom Kreis seiner Jünger abgesetzt, aber er unterscheidet sich nicht allzu sehr von den anderen. Kein Nimbus und keine Aureole zeichnen ihn aus, er ist nur durch die Geste des Lehrenden von den übrigen abgehoben. Während die Gefährten als die vertrauensvollen Freunde erscheinen offen und hörbereit, von dem machtvollen Zeichen betroffen, sehen wir Jesus als den Kundigen, der die Zusammenhänge erkennen und klären kann, der Macht hat, dem Schicksal entgegenzutreten, Er will ein Zeichen setzen, das Hoffnung weckt und eine Zukunft eröffnet.
In dem ganzen Relief herrscht Ruhe vor. Einige der Gestalten treten nur schwach heraus, andere sind stark plastisch gestaltet. Die meisten Figuren betonen in ihrer Gestalt und in dem Linienwerk ihrer Kleidung die Vertikale. Bewegung kommt durch den jungen Mann auf der Bahre und die hingekauerte Mutter in das Bild. Der Jüngling war schon in die Waagerechte des Todes gebracht, sein Weg war zu Ende, sein Leben abgebrochen, aber Jesus ruft ihn wieder in die Vertikale. Er richtet sich auf, er darf Mutter, gebeugt von dem Schmerz der Not und Ausweglosigkeit, darf aus der Niedergebeugtheit wieder in die mutige Offenheit der Zukunftserwartung zurück. Gott hat den Menschen als das Wesen gewollt, das wieder anfangen darf. Wohl muß er Abschied nehmen und hergeben, aber jeder Abschluß endet wieder mit einem Beginn. Wer glaubt, hat Hoffnung. Wer glaubt sieht einen Sinn auch noch im Zuendegehen eines Geschehens. Ein Tor schließt sich, ein anderes öffnet sich. Es steht immer noch etwas aus, es wird immer wieder eine Richtung sichtbar, in die man gehen kann. Es kündigt sich immer wieder etwas an. Wir leben in einer unabgeschlossenen Welt, wir leben ein unabschließbares Leben. Eine Friedhofskapelle ist kein fröhlicher Ort. Wir kommen dort nicht zusammen, um zu lachen und unbeschwert zusammen zu sein. Aber wir sollen dort auch nicht beschwert und mutlos beieinander sein, sondern sollen die Hoffnung wieder lernen. Einer kommt und sagt uns: Steh auf, du sollst nicht liegenbleiben, du hast noch einen weiten Weg vor dir!